Zu Beginn einer Liebesbeziehung haben wir unsere berühmte rosarote Brille auf der, die Partnerin wird idealisiert. Wir sind glücklich. Im Laufe der Zeit löst sich die Idealisierung auf, und wir sehen plötzlich Schwächen und vermeintliche Fehler unseres Gegenübers.
Was früher noch süß war („er schmatzt“) ist irgendwann nur noch nervtötend und peinlich!
Dies ist völlig normal, wir kennen es alle, und es ist der Moment, in dem die Beziehungsarbeit anfängt. Hierbei kann spirituelle Praxis sowohl hinderlich als auch unterstützend sein.
Hinderlich in dem Sinne, als das Paare evtl. beginnen, den Fortschritt ihrer spirituellen Praxis daran zu messen, wie oft sie streiten.
Heimlich sagt man sich: „Sie ist eben noch nicht so weit wie ich, sonst würde sie mich einfach so akzeptieren, wie ich bin! „, oder: „wenn er mehr meditieren würde, dann würde er wissen, was ich brauche, aber so …“
Spiritualität, die Praxis auf dem Meditationskissen, das Studium philosophische Literatur u.a.. ersetzt nicht die Notwendigkeit, sich mit den eigenen sogenannten negativen und positiven Gefühlen auseinanderzusetzen.
Genauso wie alles Schöne, wie das Verliebtsein, die innigen Momente und Erfahrungen von Weite und Frieden gefühlt und bewertet werden,  genauso notwendig ist es, die vermeintlich negativen Gefühle wie Wut, Ärger, Hass, Trauer zu spüren, sich ausbreiten zu lassen und in angemessener Weise zu teilen.
Unterstützend ist gelebte Spiritualität, da sie meistens, unabhängig der Konfession oder spirituellen Richtung, dazu einlädt, innezuhalten.
Innezuhalten bedeutet, sich frei zu machen von einer festen Überzeugung.
Die Frage: Was ist jetzt gerade, wie fühle ich mich, was ist wirklich wichtig, kann ein Lösungsweg sein aus Streit und Recht haben wollen.
Innehalten ermöglicht, sich ggf. zu entschuldigen, neu aufeinander zuzugehen, die eigenen Anteile an Konflikten wahrzunehmen –  bestenfalls ohne Schuldzuweisungen an sich selbst oder mein Gegenüber.
Susanne Wieneke